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Nora Weisbrod im interview über Aktion Tagwerk

Zu sehen, dass unsere Arbeit eine Starthilfe für viele junge Menschen in Afrika bedeutet, gibt mir viel zurück.

Nora Weisbrod ist Gründerin und Geschäftsführende Vorsitzende von Aktion Tagwerk e.V.. Die Idee der Kampagne „Dein Tag für Afrika“ ist ganz einfach: Schülerinnen und Schüler gehen an einem Tag im Schuljahr anstatt zur Schule arbeiten und spenden ihren Lohn für Bildungsprojekte in fünf afrikanischen Ländern. Somit setzen sich die Kinder und Jugendlichen in Deutschland aktiv für Gleichaltrige in Afrika ein.

Unterstützt werden mit dem Erlös der Kampagne Bildungsprojekte des Tagwerk-Projektpartners Human Help Network und des Kooperationspartners Brot für die Welt in Ruanda, Uganda, Burundi, Guinea, der Elfenbeinküste, Burkina Faso und Simbabwe.

Am 19. Juni 2018 fand im Rahmen der Kampagne „Dein Tag für Afrika“ zum 16. Mal der Aktionstag statt. In ganz Deutschland engagierten sich im Jahr 2018 190.000 Schülerinnen und Schüler aus 590 Schulen und arbeiteten für den guten Zweck, leisteten Hilfsdienste im Freundes- oder Familienkreis, organisierten einen Solidaritätsmarsch „Go for Africa“ oder veranstalteten gemeinsame Aktionen im Klassenverband.

Interview: Daniela Mahr, Mai 2018
Foto: Aktion Tagwerk


Wie kam es, dass du Aktion Tagwerk ins Leben gerufen hast?

Ich bin in Mainz aufgewachsen und habe mein Abitur in Ingelheim gemacht. Mit 16, als Schülerin der 11. Klasse, habe ich in Ingelheim meine erste Aktion organisiert. Freunde von mir hatten damals in Mainz den Lauf „Go for Ruanda“ organisiert, bei dem pro gelaufener Strecke ein bestimmter Betrag gespendet wurde. Das brachte mich auf die Idee, so etwas auch in Ingelheim zu veranstalten. Ich sprach erst meine Ingelheimer Freunde und dann meinen Direktor an, ob wir so etwas nicht auch an unserer Schule durchführen können. Der Direktor war zum Glück sofort einverstanden und dann haben wir einfach angefangen, den Lauf zu organisieren. Später haben wir die Aktion dann allen Ingelheimer Schulen angeboten. Daraus wurde im September 2000 ein Sternmarsch mit mehreren Tausend Schülern.

Nach dem Abitur wollte ich eigentlich nur ein Praktikum machen. Aus der Praktikumsidee wurde dann ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei Human Help Network, der Kinderhilfsorganisation, die heute in Mainz unsere Büronachbarn und Partner sind. Ich saß mit dem Vorsitzenden Ewald Dietrich zusammen und wir haben überlegt, ob man nicht die klassischen Solidaritätsmärsche weiter ausbauen könnte. Wir hatten ein Vorbild aus Skandinavien. Dort hatten Schüler gearbeitet und das verdiente Geld gespendet. Innerhalb meines FSJ habe ich 2003 den ersten „Tag für Afrika“ organisiert. Die Aktion kam sehr gut an und wir wurden direkt gefragt, wann der Aktionstag 2004 stattfinden wird.

Was gab den Ausschlag, dass du das Projekt damals weiterverfolgt hast?

2001 wurden wir von Human Help Network zum ersten Mal nach Ruanda eingeladen, um die Projekte zu besuchen, die wir mit dem Erlös unterstützt hatten. Das waren in erster Linie Bildungsprojekte, Kinder- und Jugendzentren für Straßenkinder – vor allem für Kinder, von denen die meisten den Genozid von 1994 erlebt haben. Es ging darum, den Kindern Unterkunft zu geben sowie psychologische Hilfe und natürlich Bildung zu ermöglichen. Diese Reise hat mich enorm geprägt, da ich mit eigenen Augen gesehen habe, was wir vor Ort alles leisten und bewegen können. Zur gleichen Zeit dachte ich mir aber auch, dass es lange nicht reicht und dass wir viel mehr Menschen mit ins Boot holen müssen. Da aber nicht alle nach Ruanda fahren können, habe ich immer wieder Vorträge gehalten, um andere Jugendliche zu informieren.

Viele Freiwilligendienste, vor allem solche, für die man zahlen muss, sind auch durchaus kritisch zu sehen.

Was war dir bei der Umsetzung von Aktion Tagwerk besonders wichtig?

Entscheidend war für mich, dass wir einen eigenen Verein für die Aktion gründen. Human Help Network ist zwar unser Partner und verwaltet die Erlöse, aber grundsätzlich sind wir unabhängig. Unser Schwerpunkt liegt auf der Bildungsarbeit. Seit Anbeginn war es mir sehr wichtig, Transparenz zu zeigen und Wissen zu vermitteln: warum überhaupt Projekte in Afrika? Welche Länder und wie werden die Projekte ausgewählt? Wie leben die Jugendlichen dort? Die Bildungsarbeit läuft das ganze Jahr über und mündet dann in dem Aktionstag. Zahlreiche junge Menschen wollen sich engagieren, wissen aber nicht wo und wie. Viele möchten nach dem Abitur ins Ausland und dort in irgendeiner Weise unterstützen. Tatsächlich kann man als junger Mensch vor Ort aber gar nicht viel tun. Viele Freiwilligendienste, vor allem solche, für die man zahlen muss, sind auch durchaus kritisch zu sehen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt, im Unterschied zur klassischen Spende, auf der Aktion, die ein junger Mensch hierzulande für einen gleichaltrigen in Afrika leistet.

Was würdest du als die Grundmotivation sehen, die dich bis heute antreibt?

Ich möchte Jugendlichen aus Deutschland die Möglichkeit geben, sich bei ihnen vor der Haustür zu engagieren und ihnen zeigen, dass sie so unglaublich viel erreichen können. Wenn die Schüler merken, was sie alles schaffen können nehmen sie wirklich etwas für ihr Leben mit und sammeln viele wertvolle Erfahrungen, die in ihr weiteres Denken und Handeln einfließen. Wie lebe ich und was ist eigentlich wirklich wichtig? Nicht zuletzt blicken die Schüler während der Aktion auch kurz in die Arbeitswelt, was ihnen ebenso für ihren weiteren Weg helfen kann.

Wie werden die Jobs bei Aktion Tagwerk ausgesucht?

Die Schüler suchen sich ihre Jobs selbst aus. Wir haben zwar mittlerweile auch einige Partnerschaften mit Unternehmen wie zum Beispiel Ikea Deutschland. Das Prinzip ist aber, dass sich die Schüler mit dem Arbeitsvertrag den sie von uns bekommen, bei der Firma ihrer Wahl bewerben. Sie sollen dort die Aktion vorstellen und ihr Gehalt verhandeln. Vom Großunternehmen bis zur Eisdiele ist alles dabei. Aber es muss nicht immer eine Firma sein, die Jugendlichen können auch den Rasen beim Nachbarn mähen. Es ist sehr spannend zu sehen, was die Jugendlichen auswählen und was im Anschluss daraus entsteht. Zum Teil sind längere Praktika oder Ausbildungen daraus entstanden.

Ich möchte Jugendlichen aus Deutschland die Möglichkeit geben, sich bei ihnen vor der Haustür zu engagieren

Wie schafft ihr es, das Projekt so weit zu verbreiten?

Sehr hilfreich ist es, dass wir mittlerweile in drei deutschen Städten vertreten sind – in Mainz, Bonn und in Berlin. Dann beginnt mit jedem neuen Schuljahr, knapp ein Jahr vor der Aktion, die Schulakquise: Wir telefonieren mit den Schulleitern und Lehrern, schreiben sie an oder gehen persönlich vorbei und stellen das Projekt vor. Zum großen Teil sind es die Schüler selbst, die bei der Akquise alles organisieren. Sie erhalten von uns die Infomaterialien und gehen damit auf ihre Lehrer zu.

Wenn die Jugendlichen selbst vor Ort waren, berichten sie natürlich ganz anders über das Projekt und der Lerneffekt ist enorm.

Ihr leistet damit auch wichtige Bildungsarbeit.

Ja, das ist uns auch sehr wichtig. Das Thema Afrika kommt mehr in die Schulen und in den Lehrplan. Zu meiner Zeit wurde im Unterricht so gut wie gar nicht über Afrika geredet. Wir bieten sehr viel Lehrmaterial oder zum Beispiel Fotoausstellungen an, die inzwischen an den Schulen viel genutzt werden. Unser Team geht auch in die Schulen und hält Vorträge. Für die jüngeren gibt es einen Afrika-Parkour, bei dem man spielerisch die Themen erleben und erfahren kann. Mit unseren Freiwilligen organisieren wir immer wieder Projektreisen nach Ruanda. Wenn die Jugendlichen selbst vor Ort waren, berichten sie natürlich ganz anders über das Projekt und der Lerneffekt ist enorm.

Ich hätte damals nie gedacht, dass ich auch nach 16 Jahren noch an dem Projekt arbeiten würde.

Was war dein eigener größter Lerneffekt bei der Umsetzung des Projekts?

Die Erkenntnis, dass man einfach anfangen und es versuchen muss. Ich hätte damals nie gedacht, dass ich auch nach 16 Jahren noch an dem Projekt arbeiten würde. Es kommt vor, dass die eine oder andere Idee mal nicht funktioniert. Dann ist es wichtig, einen langen Atem und Durchhaltevermögen zu haben. Von den 30.000 Schulen in Deutschland machen etwa 600 bei uns mit. Wenn man das ins Verhältnis setzt, wirkt es vielleicht wenig. Aber wenn ich auf der anderen Seite sehe, dass sich bundesweit ca. 200.000 Schüler seit Jahren bei uns engagieren, dann ist es eine ganze Menge. Trotzdem ist das Projekt kein Selbstläufer und wir müssen stetig dranbleiben.

Afrika ist so ein spannender Kontinent und ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so viele Länder dort mit langfristigen Projekten unterstützen können. Natürlich können wir nicht überall helfen und das kann manchmal frustrierend sein. Aber zu sehen, dass unsere Arbeit eine Starthilfe für viele junge Menschen in Afrika bedeutet, gibt mir so viel zurück, dass meine Leidenschaft für das Projekt mindestens so groß ist wie zu Beginn.

Für frischen Wind sorgt die Tatsache, dass es jedes Jahr einen Wechsel bei den FSJlern gibt. So bleibt es lebendig und bereichernd für uns „alte Hasen“. Die Schulabgänger/innen können auch sehr viel mitentscheiden, was dem Projekt guttut und uns bei der Weiterentwicklung hilft. Wir haben zwar mittlerweile auch einige hauptamtliche Mitarbeiter, das Grundprinzip bleibt aber, dass die Menschen im freiwilligen sozialen Jahr, also nach der Schule und vor Studienbeginn, bei uns anfangen. In dem Jahr bei uns tragen sie direkt Verantwortung und sammeln dabei viele wertvolle Erfahrungen. Die Idee „von Schülern für Schüler“ wird dabei konsequent umgesetzt. Wenn jemand direkt nach dem Schulabschluss an eine Schule geht und dort einen Vortrag hält, dann ist der Bezug zu den Schülern natürlich viel näher. Auch ich habe ja damals im freiwilligen sozialen Jahr angefangen. Ohne die FSJler würde der Betrieb bei uns nicht funktionieren.

Was sind oder waren die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?

Schwierig war und ist, dass es oft an Kontinuität fehlt, weil es ständigen Wechsel an den Schulen gibt. Mit den Schülern, Lehrern oder Direktoren gehen uns dann manchmal wichtige Ansprechpartner, mit denen es lange reibungslos lief, verloren. Die nötige Übergabe stellt nach wie vor für uns eine große Herausforderung dar. Manchmal hätte ich gerne sofort in jedem Bundesland ein Büro, aber das ist natürlich finanziell gar nicht zu stemmen. Hier und da muss ich einfach auch lernen, etwas geduldiger zu sein (lacht).

Wie hast du es geschafft, das Projekt zu professionalisieren und nicht nur dich selbst, sondern auch andere Mitarbeiter:innen damit zu finanzieren?

Ich habe ein berufsbegleitendes Studium in Betriebswirtschaft gemacht. BWL hätte ich ohne meine Erfahrung im FSJ aber nie studiert. Früher hätte man mich damit jagen können. Es war aber tatsächlich sehr hilfreich. Und nebenbei konnte ich die Aktion Tagwerk weiter mit aufbauen. 2006 habe ich mein Studium beendet und seitdem mache ich die Arbeit hauptamtlich und bin geschäftsführende Vorsitzende.

Ein gutes, lebendiges Team zu haben ist sehr wichtig. Es war schnell klar, dass wir neben den FSJlern, die jedes Jahr wechseln, Kontinuität durch Hauptamtliche brauchen. Vor allem wenn wir Finanzierungsanträge stellen, brauchen wir einen langen Atem. Der ist heute wichtiger als am Anfang, weil es nicht mehr das neue, spannende Projekt ist.

Professionalität war mir von Anfang an sehr wichtig. Das fängt schon beim Flyer an, der nicht aussehen darf, als hätte man ihn selbst gestaltet. Intern war es auch immer wieder ein Abwägen und es gab Dinge, die wir uns nicht leisten konnten. Im Büro klingelt pausenlos das Telefon und es braucht Strukturen. Die können nur hauptamtlich geschaffen werden.

Damit eine Sache erfolgreich wird, müssen professionelle Strukturen bestehen.


Wie stehst du zu ehrenamtlicher Arbeit?

Sie ist enorm wichtig und ohne sie würde unser Betrieb nicht funktionieren. Aber professionelle Strukturen können nur mit Investitionen geschaffen werden und das geht nur mit hauptamtlichen Kräften, die nicht ständig wechseln. Das würde in keinem Unternehmen infrage gestellt werden. Im sozialen Bereich hat sich schon viel getan, aber das Verständnis muss sich hier auch noch viel mehr durchsetzen. Damit eine Sache erfolgreich wird, müssen professionelle Strukturen bestehen.

Wenn du in Mainz das Sagen hättest, was würdest du sofort anpacken?

Ich lebe sehr gerne in Mainz, trotzdem gibt es natürlich viel, das getan werden muss. Das fängt schon bei der Bereitstellung von kulturellen Räumen an und geht bei der Finanzierung weiter. Die Stadt muss alternative Formen von Kultur, eine freie Szene zulassen, denn das macht eine Stadt wirklich aus. Junge Menschen sollten sich trauen können, eigene Ideen zu realisieren. Den Weg sollte man erleichtern. Das „Open Ohr“ ist eine bedeutende Institution in Mainz und es ist wichtig, dass es nach wie vor finanzielle Unterstützung erhält. Das immer knapper werdende Angebot an bezahlbaren Wohnraum in Mainz ist ein weiteres, sehr großes Problem, das angepackt werden muss.

Welche Personen oder Projekte aus deiner Region sollte man nicht übersehen?

Die Schnittstelle5 mit Nikola Diel zum Beispiel, die auf Raumleerstand aufmerksam machen. Dann die Szene in der Neustadt mit Luups oder die pinke distel sind unglaublich sympathisch. Planke Nord war toll – schade, dass man sie nicht weiterführen konnte. Norbert Schön vom ehemaligen Schick und Schön und dem heutigen Schon Schön ist beeindruckend. Christiane Schauder, eine Künstlerin aus der Neustadt, veranstaltet großartige Jazzkonzerte in ihrem Atelier. Die Gaustraße mit Vera Kohl, die mit der „Dicken Lili – Gutes Kind“ dort im Prinzip den Grundstein für eine neue Szene gelegt hat. Und natürlich das Open Ohr mit der freien Projektgruppe. Dieses Festival ist große Inspiration und in seiner Form einzigartig in ganz Deutschland.

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