Christian Einsiedel über Gemeinwohl-Ökonomie und ein anderes Wirtschaften.
Die Gemeinwohl-Ökonomie erinnert uns daran, dass es in der Wirtschaft um mehr geht als nur um Profit.

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Creative Change Consultant @Wegbereit Coaching & Management, Bildungsreferent @Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRWThemen
Bildung, BNE, Change Management, Coaching & Beratung, Empowerment, Europa, Gemeinwohl-Ökonomie, Gründung, Impact, Kultur, Medien, Musik, Nachhaltigkeit, Philosophie, SDGs, Social Entrepreneurship, Virtuelle Teams, Wirtschaft der Zukunft, Zukunftsfähige Gesellschaft
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Das Projekt "Gemeinwohlregion Kreis Höxter"
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Die Gemeinwohl-Ökonomie erinnert uns daran, dass es in der Wirtschaft um mehr geht als nur um Profit.
Sehr gerne! Kurz gesagt erinnert uns die Gemeinwohl-Ökonomie daran, dass es in der Wirtschaft um mehr geht als nur um Profit. Die GWÖ erweitert die Definition von Erfolg um zusätzliche Messgrößen, damit Stadtverwaltungen, Firmen und andere Organisationen ihre Beiträge zum Gemeinwohl genauso selbstverständlich prüfen und laufend verbessern wie ihre Finanzen.
Du arbeitest ja für eine Gemeinwohl-Stiftung. Wer steht dahinter und was sind deine Aufgaben?
Die Stiftung ist noch jung und geht auf die Apotheker:innen-Familie Binder aus Steinheim zurück, die sich seit langem für Nachhaltigkeit engagiert. Bisher gibt es nur einen Vermögens-Grundstock, wir bauen erst noch Strukturen auf, die Zustiftungen ermöglichen. Trotzdem laufen schon erste Projekte, weil wir als gemeinnütziger Träger gut auf Fördermittel zugreifen können.
Im Projekt „Gemeinwohl-Region Kreis Höxter“ teilen mein Kollege Christoph Harrach und ich uns eine Stelle, bei der fast kein Tag wie der andere ist. Es geht um das Bekanntmachen der GWÖ, also im Kern um Organisation und Kommunikation. Parallel begleiten wir als Co-Berater die GWÖ-Bilanzierung von insgesamt zehn Unternehmen und den drei Städten Steinheim, Brakel und Willebadessen.
Wie kamst du persönlich zur GWÖ?
Mir haben mehrere Menschen davon erzählt. Daraufhin habe ich das Buch von Christian Felber gelesen, der die Bewegung mit initiiert hat. Dabei hat es innerlich Klick gemacht, in Sachen Nachhaltigkeit sowieso, aber auch, weil ich vorher ein mittelständisches Unternehmen mit aufgebaut hatte.
Die Bilanz regt dazu an, eine eigene Haltung zu den komplexen Fragen nachhaltiger Wirtschaft zu entwickeln.
Ihr unterstützt bei der Gemeinwohl-Bilanzierung. Erklär’ doch kurz, was dahintersteckt und was man dafür tun muss.
Bei der Bilanz geht es darum, die sozialen und Umwelt-Auswirkungen der eigenen Organisation im Kontakt mit fünf Gruppen rückblickend zu bewerten: Lieferant:innen, Finanzpartner:innen, Mitarbeitende, Kund:innen und ihr gesellschaftliches Umfeld. In der Bilanzierung bewertet man mit einem Beratungsteam, wie gut man im Kontakt mit diesen Gruppen die Kernwerte des Gemeinwohls berücksichtigt: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, sowie Transparenz und Mitentscheidung.
Die Bilanz kombiniert diese vier Werte und die fünf Berührungsgruppen zu einer Matrix mit 20 Feldern, in denen jeweils Punkte gesammelt werden können. Die Bilanzsumme aller Felder fasst dann in einer einzigen Kennzahl zusammen, wie ethisch eine Organisation in den vergangenen zwei Jahren gewirtschaftet hat. Dabei werden alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele mitberücksichtigt.
Tiefenwirksam wird das Ganze, weil nicht nur vorgegebene Kriterien abgearbeitet werden. Die Bilanz regt eher dazu an, eine eigene Haltung zu den komplexen Fragen nachhaltiger Wirtschaft zu entwickeln und daraus Ideen abzuleiten, was man ändern möchte. Oft verbessern sich auch die Beziehungen zu den genannten Gruppen. Unternehmen berichten zum Beispiel von weniger Konflikten mit Lieferant:innen, mehr Bewerber:innen und natürlich auch neuen Chancen am Markt. Es geht also nicht um Gutmenschentum, sondern hat auch handfeste Vorteile für die Organisation.
Einer unserer Erfolgsfaktoren: Vertrauen im Jobsharing und Kompetenzhierarchie: Wer etwas am besten kann, der macht es.
Du hast Euer Projekt schon erwähnt – Ihr arbeitet im Kreis Höxter erfolgreich an der Idee der „Gemeinwohl-Region“. Wie habt Ihr das geschafft?
Ausgangspunkt war eine EU-Förderung für den Kreis als strukturschwachen ländlichen Raum. Sie finanziert zwei Drittel unserer Stelle, den Rest trägt die Stiftung. Dadurch wird unser Job und damit Kontinuität möglich, in guter Kooperation mit den ehrenamtlichen Strukturen der GWÖ-Bewegung.
Intern sehe ich unsere agile Projektsteuerung als wichtigsten Erfolgsfaktor. Wir brauchen kaum Zeit für Organisatorisches und können schnell reagieren, wenn sich Chancen auftun. Dazu kommen großes Vertrauen im Jobsharing und Kompetenzhierarchie: Wer etwas am besten kann, der macht es.
Die GWÖ wird gerne kritisiert. Den einen geht sie zu weit, den anderen nicht weit genug.
Eine Hürde ist, dass die GWÖ gerne kritisiert wird. Dem einen geht sie zu weit, sie befürchten Kommunismus und Wohlstandsverlust. Den anderen geht sie nicht weit genug, sie befürchten, dass wir das System mit dem Versuch erhalten, es von innen zu verändern. Da hilft nur geduldige Kommunikation und immer wieder die Wendung weg von Ideologien hin zum konkreten Nutzen der Bilanz.
Apropos Geduld – wo soll die Reise denn in den nächsten Jahren hingehen? Und wie kann man euch auf diesem Weg unterstützen?
Kurzfristig wünschen wir uns möglichst viele weitere GWÖ-bilanzierende Firmen, nicht nur im Kreis Höxter. Wer sich dafür interessiert kann uns sehr gerne kontaktieren. Mittelfristig könnten Unternehmen mit einer hohen GWÖ-Bilanzsumme zum Beispiel Steuervorteile bekommen. Wer nachweislich dem Gemeinwohl dient sollte nicht draufzahlen müssen, sondern belohnt werden – dafür engagiert sich die Bewegung politisch.
Langfristig ist das Ziel, auch die volkswirtschaftliche Erfolgsmessung ethisch auszurichten, also dem Bruttoinlandsprodukt ein „Gemeinwohlprodukt“ zur Seite zu stellen, ähnlich wie das beispielsweise Bhutan jetzt schon mit dem „Bruttonationalglück“ macht. Das ist noch richtig viel Arbeit, insofern ist die beste Unterstützung vielleicht nach einer GWÖ-Regionalgruppe vor Ort zu suchen und sich in der Bewegung zu engagieren. Als Stiftung freuen wir uns natürlich auch über Spenden und Finanzpartnerschaften, die weitere Projekte ermöglichen.
Was machst du, wenn du nicht bei der Stiftung arbeitest?
Wirklich nachhaltiges Engagement wurzelt in guter Selbstfürsorge.
Was waren bislang deine größten Lerneffekte – sowohl in der Arbeit mit der GWÖ, als auch auf deinem persönlichen Weg?
Gar nicht so einfach, da etwas herauszugreifen. Die Essenz ist vielleicht, dass Dinge möglich werden, wenn man dranbleibt und dabei mit sich selbst verbunden bleibt. Und dass es keine gute Idee ist, eins davon wegzulassen – wirklich nachhaltiges Engagement wurzelt in guter Selbstfürsorge.
Was würdest du jemandem empfehlen, der:die selbst eine Idee hat und ein eigenes Projekt starten möchte? Sei es nun als Kommune, Region, im Unternehmen oder ganz persönlich.
Zugang zur Kraft der eigenen Kreativität zu finden. Und sie dann für etwas Sinnvolles einzusetzen, egal ob im Hauptberuf oder im Ehrenamt: träumen, planen, machen, unterwegs dazulernen und immer wieder nachjustieren mit der Frage, wie das, was man tut, anderen Menschen und der Umwelt nützt. Jede:r von uns hat dieses Potenzial in sich, es gibt so viele inspirierende Beispiele von Menschen, die es nutzen. Ich wünsche uns allen, dass es noch viel mehr werden!